PRESSEMITTEILUNG
zur Pressekonferenz
am Donnerstag, 16. Januar 2020 um 13.30 Uhr im Hotel Albrechtshof, Albrechtstraße 8, 10117 Berlin
Überdimensionierter Netzausbau verhindert Energiewende – Vorstellung des Gutachtens zum Netzentwicklungsplan (NEP) 2030
Das aktuelle Gutachten von Prof. Lorenz Jarass wird erstmalig vorgestellt. Die Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten ist ein ausschlaggebender methodischer Fehler, der die gesamte Bedarfsanalyse des aktuellen Netzentwicklungsplans (NEP) in Frage stellt. Auftraggeber des Gutachtens ist der „Initiativkreis NEP 2030“, der von Bürgerinitiativen, der Nürnberger N-ERGIE Aktiengesellschaft, dem BUND Naturschutz, den NaturFreunden Deutschlands, Vereinen, zahlreichen Kommunen und durch den Würzburger Rechtsanwalt Wolfgang Baumann getragen und unterstützt wird. Die Dachverbände der Bürgerinitiativen gegen Südlink, Südostlink, Ultranet und Juraleitung bilden für den Widerstand gegen den geplanten Netzausbau eine deutschlandweite Allianz und sind in Kooperation mit dem Initiativkreis Veranstalter der Pressekonferenz.
Der Initiativkreis übt an der aktuellen Netzentwicklungsplanung scharfe Kritik. Der NEP als Grundlage für den Bundesbedarfsplan 2020 Stromnetz, der den Ausbau des Höchstspannungsnetzes für die kommenden Jahre festschreiben soll, ist inakzeptabel und darf so nicht verabschiedet werden. Der Ausbau eines überdimensionierten Übertragungsnetzes ist unwirtschaftlich, unsozial, umweltzerstörend und für die Energiewende kontraproduktiv. Er dient nicht der Versorgungssicherheit, sondern überwiegend dem europaweiten Handel mit Atom- und Kohlestrom und gefährdet damit die Einhaltung der Klimaziele.
Stellungnahmen der Pressekonferenz-Teilnehmer finden Sie auf den nachfolgenden Seiten.
Prof. Dr. Lorenz J. Jarass:
„Die Netzausbaukosten bleiben derzeit im Netzentwicklungsplan unberücksichtigt, woraus ein überhöhter Netzausbau resultiert. Die fehlende Berücksichtigung der Netzausbaukosten ist ein schwerer methodischer Fehler, der die gesamte Bedarfsanalyse des aktuellen Netzentwicklungsplans fragwürdig macht.
Es gibt eine Reihe von kostengünstigen Maßnahmen zur Verringerung des erforderlichen Netzausbaus, die im aktuellen Netzentwicklungsplan ganz überwiegend unberücksichtigt bleiben. Durch 6 GW Power-to-Gas an der Küste würde die gesicherte Übertragungsleistung von SuedLink und SuedostLink von 6 GW entbehrlich, und gleichzeitig würden die Netzausbaukosten selbst bei einer 100%-igen Bezuschussung der Power-to-Gas-Investitionen sinken. Dies bleibt im Netzentwicklungsplan unberücksichtigt.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse wird vom Netzentwicklungsplan nicht durchgeführt, obwohl sie vom europäischen Verband der Übertragungsnetzbetreiber ENTSO-E in Abstimmung mit der EU gefordert wird.
Die Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten führt zu einem überhöhten Netzausbau und damit zu überhöhten Stromkosten und Strompreisen. Dies steht im klaren Widerspruch zu dem am 22. Mai 2019 verabschiedeten Clean Energy for all Europeans Package (CEP) der EU. Eine dezentrale Stromerzeugung wird wegen Nichtberücksichtigung der Netzausbaukosten systematisch benachteiligt, wodurch die Energiewende behindert wird.“
Rainer Kleedörfer, Leiter Unternehmensentwicklung / Beteiligung N-ERGIE Aktiengesellschaft:
„Der Netzentwicklungsplan enthält gravierende Systemfehler: Die Netzausbaukosten bleiben unberücksichtigt. Dies führt rechnerisch zu einem deutlich überhöhten Netzausbaubedarf. Dezentrale Ansätze werden systematisch benachteiligt und auch die Sektorenkopplung nimmt einen viel zu geringen Stellenwert ein. Die beiden letztgenannten Elemente sind jedoch wesentliche Bausteine einer erfolgreichen Energiewende und wirksamen Klimaschutz.
Energiewende und wirksamer Klimaschutz findet vor Ort und damit weit überwiegend dezentral statt: Photovoltaik-, Biomasse-, Windkraftanlagen, Wärmepumpen, Batteriespeicher sowie Ladepunkte für Elektromobilität sind – mit Ausnahme der Offshore-Windkraftanlagen und weniger Windkraftanlagen an Land – an den Stromverteilnetzen angeschlossen und großflächig verteilt. Der Zubau von erneuerbaren Energien ist deutlich zu beschleunigen. Der Ausbau sollte weitgehend lastnah erfolgen, also möglichst dort, wo der Strom gebraucht wird. Für die Akzeptanz durch die Akteure vor Ort ist es wichtig, den aktuellen Gesetzesrahmen zeitnah so anzupassen, dass Kommunen, Stadtwerke, Bürgerinnen und Bürger in die Projekte eingebunden werden und von diesen auch wirtschaftlich profitieren.
Der beabsichtigte Stromübertragungsnetzausbau mit seinen aktuell geschätzten Kosten von 95 Mrd. Euro (plus rd. 5 Mrd. Euro für Blindleistungskompensation) dient vorrangig dem innereuropäischen Stromtransport/Stromhandel. Er trägt kaum zur Versorgungssicherheit in Deutschland bei: Laut BNetzA ist der Netzausbau für Leistungsdefizite, also für eine sogenannte Dunkelflaute nicht erforderlich. Die Kosten des beabsichtigten Stromübertragungsnetzausbaus dann vorrangig durch Haushaltskunden und kleine und mittlere Unternehmen bezahlen zu lassen ist sozialpolitisch höchst verwerflich. Dies auch, da diese Kunden schon heute die höchsten Strompreise in Europa zahlen.“
Rechtsanwalt Wolfgang Baumann, Fachanwalt für Verwaltungsrecht:
„Das Gutachten von Professor Jarass lässt erkennen, dass die im Netzentwicklungsplan 2030 enthaltenen länderübergreifenden und grenzüberschreitenden Höchstspannungsleitungen (HGÜ-Trassen) keinen rechtssicheren, effizienten und umweltverträglichen Ausbau des Übertragungsnetzes darstellen, wie es das Netzausbaubeschleunigungsgesetz verlangt (vgl. § 1 NABEG). Insbesondere wird auch der Zweck des Energiewirtschaftsgesetzes, eine möglichst sichere, preisgünstige und verbraucherfreundliche Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität zu gewährleisten, nicht erreicht. Die Tatsache, dass 95 Milliarden € Investitionskosten bei einer gesetzlich zugesicherten hohen Rendite für die Übertragungsnetzbetreiber auf die Verbraucher abgewälzt werden sollen, verdeutlicht, dass die Interessen der Verbraucher bei dieser Planung völlig missachtet werden.
§ 1a Abs. 3 EnWG verlangt, dass die Kosten der Energieversorgung verringert werden u.a. durch einen Wettbewerb zwischen effizienten und flexiblen Erzeugungsanlagen, Speicheranlagen, einer effizienten Kopplung des Wärme- und des Verkehrssektors mit dem Elektrizitätssektor. Verlangt wird durch diese neu eingefügte Vorschrift die „Transformation zu einem umweltverträglichen, zuverlässigen und bezahlbaren Energieversorgungssystem“, unter besonderer Berücksichtigung des Ausbaus der Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien. Der vorgelegte Netzentwicklungsplan NEP 2030 ist das genaue Gegenteil:
- Sektorenkopplung findet so gut wie nicht statt.
- Das Versorgungssystem des NEP 2030 schwächt die dezentrale Energieversorgung, die auch durch die Einspeisung erneuerbarer Energien in die regionalen Versorgungsnetze in vielen Bereichen der Bundesrepublik schon heute flächendeckend für die regionale Energieversorgung verantwortlich zeichnet und auf eine Flexibilisierung von Angebot und Nachfrage hinwirkt.
- Der NEP 2030 vermindert die Versorgungssicherheit, indem er auf eine monolithische Stromdurchleitung setzt und damit die Störungsanfälligkeit erhöht.
- Die unbegrenzte Aufladung der Kosten auf den Verbraucher führt zur absoluten Verbraucherunfreundlichkeit des Systems.
Die Ziele des NABEG und des EnWG werden vom NEP 2030 also unzureichend oder gar nicht berücksichtigt. Für ein solches Netz besteht kein Bedarf, es kann nicht in einen Bundesbedarfsplan als gesetzlich verbindliche Bedarfsvorgabe aufgenommen werden. Ein solcher Bedarfsplan wäre sonst rechtswidrige Grundlage für verfassungsrechtlich unzulässige Grundrechtseingriffe in das Eigentumsrecht vieler (Art. 14 GG) und für Verstöße gegen die Staatszielbestimmung Umweltschutz des Art. 20 a GG.“
Michael Müller, Bundesvorsitzender NaturFreunde Deutschlands:
„Als die Debatte 1980 über die Energiewende begann, gingen wir von folgenden Eckpunkten aus: Das neue Energiesystem muss, soll es ökologischen Ansprüchen gerecht werden, nicht nur die Solarenergie fördern, sondern auch zu einer Effizienzrevolution kommen. Die ist nur demokratisch und dezentral möglich. Hier liegt der entscheidende Hebel, um eine ökologische Energieversorgung gegen die Macht der großen Verstromer durchzusetzen. Das war ein Kerngedanke der Energiedienstleistungen. Dazu ist es bis heute nicht gekommen. Im Gegenteil: Auch bei den Erneuerbaren werden die Ansätze einer dezentralen Bürgerenergie erschwert und blockiert. Deshalb gibt es bis heute nur eine ‚amputierte‘ Energiewende. Der NEP 2030 ist ein Grund dafür.“
Dörte Hamann, Sprecherin für das Bündnis der Trassengegner-Bürgerinitiativen:
„Wir appellieren eindringlich an die Politik, die Netzausbauplanung im Hinblick auf den Bedarf, ihre Wirtschaftlichkeit und ihre Wirksamkeit zu korrigieren.
Der geplante Netzausbau ist überdimensioniert, unsozial, unwirtschaftlich und wird auf wachsende Proteste stoßen. Die aktuelle Forderung von Seiten einiger Politiker, den Bürgerinnen und Bürgern die Klagerechte noch weiter einzuschränken als bisher, ist vollkommen inakzeptabel und wird das eigentliche Problem nicht lösen: Die Menschen an den Hunderten von Leitungs-Kilometern stehen aufgrund veralteter politischer Entscheidungen mit dem Rücken zur Wand – und die zu erwartenden Auswirkungen der Maßnahmen sind bislang nur einem Bruchteil der Bevölkerung überhaupt bewusst. Dies ist eine energiepolitische und gesellschaftliche Sackgasse. Südostlink, Südlink, Ultranet und Juraleitung drohen, zu Milliardengräbern einer neuen Dimension zu werden, und dies wird nicht ohne Widerstand hingenommen.
Den Netzausbau identifizieren wir Trassengegner klar als Energiewende-Verhinderungs-Maßnahme zugunsten eines profitgetriebenen Konzern-Stromhandels. Es kann nicht funktionieren, die Erneuerbaren Energien in ein zentralistisches Korsett zu zwingen, die Energiewende ist per se dezentral und benötigt Speicher statt Stromtrassen. Der Ausbau der Erneuerbaren und die Rechte der Bürgerinnen und Bürger, selbst an der Energiewende aktiv teilzunehmen, werden durch immer neue Schikanen blockiert, ein effektiver Klimaschutz wird verhindert.“
Sehen Sie hier das Fazit aus der Präsentation von Prof. Dr. Lorenz J. Jarass:
Ansprechpartner Bürgerinitiativen