Eindrücke vom Energiegipfel in München Es geht um die Energiewende, aber es geht auch um den Netzausbau. Das wurde am 13. Dezember 2018 mit dem ersten Energiegipfel unter Bayerns neuem Staatsminister für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie, Hubert Aiwanger, mehr als deutlich. Wer es wagt, „ein energiepolitisches Gesamtkonzept in Hinblick auf Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und mehr nachhaltige Energieerzeugung“ zu entwickeln, rennt in Bayern keine offene Türen ein. Trassenbefürworter verbreiten während des Dialogs und im Nachgang in der Presse Blackout-Panik wie anno 2014, die Industrie spricht davon, man wolle ihr den Strom abdrehen. Die dezentrale Energiewende ist nicht nur bei Vertretern der konservativen Wirtschaftsverbände verhasst, sondern es bilden sich auch bizarr anmutende Allianzen zwischen Verfechtern des freien europaweiten Handels mit Kohle- und Atomstrom und Verfechtern einer zentralistischen „Konzern-Energiewende“. Das Thema europäischer Netzausbau ist und bleibt deshalb aus der Diskussion um die Energiewende in Bayern nicht wegzudenken und sorgt dementsprechend weiterhin für scharfe Kontroversen. Vertreter der Wirtschaftsverbände: Gruselkabinett veralteter Argumente Freier Stromhandel und niedrige Preise, nicht Grundversorgung oder gar die Energiewende sind das Konzept und das Ziel, an dem die Wirtschaftsverbände auch beim Münchener Dialog mit aller Kraft festgehalten haben. Deutlich wurde: Sowohl VBW als auch BIHK als auch dem Vertreter der HWK München ist es herzlich egal, welchen Strom die Betriebe bekommen – Hauptsache billig. Der europäische Stromhandel wird gefordert, das darf auch mit Atom- und Kohlestrom sein. Eine sichere Versorgung allein auf Basis der Erneuerbaren wurde in einigen Beiträgen als technisch nicht machbar bewertet. Dass die von Aiwangers Vorgänger Franz Josef Pschierer ausgerufene Kommunikations-Eiszeit beendet ist und es in der Diskussion beim Thema Netzausbau in Bayern wieder um das „Ob“ und nicht allein um das „Wie“ geht, schlug schon im Vorfeld so hohe Wellen, dass bei der Diskussion beim Energiegipfel ohne Umschweife das Thema Stromnetzausbau zum zentralen Punkt wurde. Die Vertreter der Wirtschaftsverbände wirkten sichtbar echauffiert. Größte Sorge war es, der Strom für die energieintensive Industrie könnte durch die Entwicklungen auch nur minimal teurer werden. Der Standort Bayern und Arbeitsplätze seien in Gefahr, so die Androhung. Eine günstige Energieversorgung sei in der Schlussfolgerung ausschließlich zu stemmen, wenn der Südostlink nicht in Frage gestellt werde. Das Niveau der Redebeiträge durch die Verbands-Vertreter war in weiten Teilen bedenklich niedrig. Für inhaltliche Leere und buchstäbliche Dunkelheit sorgte ein Vertreter der energieintensiven Industrie. „Licht aus!“, war die Anweisung vor versammelter Zuhörerschaft im Ludwig-Erhard-Festsaal, „und jetzt nehme ich meine Redezeit in Anspruch, um zu schweigen“. So stellt sich der Wirtschaftsvertreter im Jahr 2018 zukünftig eine Versorgung mit Solarstrom im Winter vor. Klar wird nur, auch in Kreisen von Verantwortungsträgern herrscht Informationsbedarf, ohne den eine realistische Einschätzung zu Fortschritten bei Energiewende und Speichertechniken offensichtlich nicht möglich ist. Auch BIHK-Hauptgeschäftsführer Peter Driessen verblüffte in einem seiner letzten Auftritte vor dem Ruhestand mit diesem unsachlichen Redebeitrag in den Abendnachrichten des bayerischen Fernsehens: “Ich kann mir nicht vorstellen, dass der Wirtschaftsminister ernsthaft darüber nachdenkt, dass die Industrieunternehmen nur noch im Sommer produzieren, wenn Photovoltaik zur Verfügung steht. Speichersysteme, die in diesen Dimensionen vorhanden sein müssen und die wirtschaftlich sind, wird es in den nächsten zehn Jahren nicht geben.” Vertreter des ABSOT: Kosten unbekannt, HGÜ nicht vor 2028 fertig Eine „sichere und kostengünstige Versorgung“ Bayerns soll mit noch nicht gebauten Pilotprojekten garantiert werden? Die HGÜ-Trassen werden laut Experteneinschätzung zum Monitoring-Bericht der Bundesregierung ebenfalls nicht bis 2025 in Betrieb gehen – Punktsieg also für Hubert Aiwangers Übergangslösung mit Gaskraft in Bayern. Selbst aus Kreisen der CSU kommt derzeit die Forderung nach einem erneuten Planungsaufschub, da die Testphase für die Kabel noch nicht abgeschlossen ist und noch nicht einmal die technische Ausführung von Südostlink und Südlink feststeht. Die Kosten sind weiterhin die große Unbekannte, die Frage nach seriösen Berechnungen bleibt trotz erneuter intensiver Nachfrage auch bei Netzbetreibern und Bundesnetzagentur weiterhin unbeantwortet. Das Aktionsbündnis gegen die Süd-Ost-Trasse (ABSOT) wurde in München von Hubert Galozy und Dörte Hamann vertreten. Weitere, sehr aktive Bürgerinitiativen (BIs) gegen den Südlink, wie „Bergrheinfeld sagt NEIN“, waren leider nicht eingeladen; mit ihnen und vielen weiteren BIs steht das Sprecherteam des ABSOT deshalb in engem Austausch. Mit Christian Gunsenheimer war die Kommunale Initiative “Nein zu neuen Stromtrasssen“ vertreten, die im Coburger Land erst kürzlich für einen rasanten Anstieg der Trassenkreuze als Zeichen des Widerstands gesorgt hat. Der Appell des ABSOT im Namen zahlreicher Bürgerinnen und Bürger war: „Die Trassenbefürworter reiten ein totes Pferd. Nehmt die Menschen bei der Energiewende in Bayern mit, dafür zu kämpfen sind wir bereit. Schafft 10H in Bayern ab. Die Diskussion um den Netzausbau erklären wir als nicht beendet, es besteht nicht zuletzt bei den betroffenen Menschen weiterhin Gesprächsbedarf. Den Trassenbau identifizieren wir als Renditeobjekt und Kompensation der Energiekonzerne für den Atomausstieg, aber nicht als Beitrag zur Energiewende. Die Kosten, die durch gestoppte Milliardenprojekte entstehen, müssen wir Stromkunden tragen, und fragwürdige Projekte müssen deshalb so früh wie möglich verhindert werden. Wenn die Diskussion vorzeitig abgebrochen wird, wird sie auf der Straße fortgesetzt. Dass dieser sehr wahrscheinliche Protest nicht als Zeit- und Kostenfaktor von vielen Verantwortlichen wahrgenommen wird, halten wir für fahrlässig. Das Beispiel Hambacher Forst hat gezeigt, dass es oft nur ein Symbol braucht, um die Leute zu massivem Protest zu bewegen. Entlang aller geplanter Trassen gibt es viele potentielle Symbole.“ Aiwangers Strategie Mit allzu markigen Sprüchen, für die Hubert Aiwanger eigentlich bekannt ist, hielt sich der Wirtschaftsminister beim Energiegipfel zurück. Aiwanger wollte die Wirtschaftsverbände nicht verschrecken, aber er bezweifelte merklich den Umfang und die schnelle Realisierbarkeit des geplanten Meganetzes, und allein das brachte die Trassen-Befürworter auf die Barrikaden. Anmerkungen wie “nichts ist in Stein gemeißelt” und “ich würde kein Geld auf die Trassen verwetten” ließen deshalb keine Zweifel aufkommen, dass Bayerns neuer Wirtschaftsminister weiterhin der Meinung ist, dass der in dieser Form geplante Netzausbau nicht zweckdienlich sei. „Aiwanger sägt listig an den Stromtrassen“, titelte ein Artikel treffend. Bayern könne nicht warten, bis Südostlink und Südlink fertig sind, sondern müsse aktiv werden, so die Richtungsweisung des Wirtschaftsministers. Deshalb sei es nun überfällig, erneuerbare Energien stärker auszubauen, die Stromnetzarchitektur intelligent zu gestalten und Energieeinsparpotenziale stärker zu nutzen. Der Wirtschaftsminister setzt sich für eine Förderung von Power-to-Gas-Projekten ein. “Wenn wir hier nicht aktiv werden, geht die Technologie nach China”, so Hubert Aiwanger. Die Devise bleibt Wertschöpfung vor Ort. Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach dem verstärkten Einsatz von Gaskraftwerken zu bewerten. Bayerns Umweltminister Thorsten Glauber nahm ebenfalls am Energiegipfel teil. Er betonte: „Klimaschutz und Energiewende sind untrennbar miteinander verbunden. Wir haben sehr ambitionierte Klimaziele, die wir kraftvoll umsetzen wollen. Wir werden dem Klimaschutz Verfassungsrang geben und ein eigenes Bayerisches Klimaschutzgesetz schaffen. Als starkes Industrieland hat Bayern hier eine Vorbildfunktion.“ Unterstützung durch Professor Sterner Ein Graus für Trassenfans und Energiewende-Gegner ist diese Feststellung, mit der Professor Michael Sterner von der OTH Regensburg Aiwangers Vorschläge als grundsätzlich machbar erklärte: “Bayern hat genügend Potential an erneuerbaren Energien, um sich selbst zu versorgen. Wind- und Solarstrom sind die kostengünstigsten Energiequellen in Bayern mit dem größten technischen Potenzial und geringstem Flächenverbrauch.” Gaskraftwerke und Speicher seien sinnvoll und notwendig. Brauchen wir also den geplanten massiven Netzausbau? Nicht notwendigerweise, betonte Professor Sterner – und er ist kein expliziter Trassengegner. Sehr positiv war Sterners moralischer Appell an die Teilnehmer des Energiegipfels, in der sein intensives Engagement für den Klimaschutz erkennbar wurde. Seine Antwort auf die Frage, warum die Energiewende vor allem auch in Bayern vorangebracht werden muss: “Was die anderen machen, haben wir nicht in der Hand. Was wir machen, haben wir auf alle Fälle selber in der Hand, und für das sind wir auch verantwortlich, und unser Beitrag ist damit auch unsere Verantwortung für die Schöpfung, für unsere Kinder, für unsere Enkel.” Klimaschutz mit HGÜ? Die Fakten sprechen eine andere Sprache. Wie Professor Sterner selbst sagt: “Was die anderen machen, haben wir nicht in der Hand.” Die „anderen“ machen weiterhin Atom- und Kohlestrom. Und dieser kommt mit den Trassen auf Kosten der Stromkunden zu von den Netzentgelten befreiten Unternehmen wie Wacker Chemie und Konsorten, wenn es nach den Wirtschaftsverbänden geht. Weitere Unterstützung für die Seite der Trassengegner von fachlicher Seite kam vom verlässlichen Professor Lorenz Jarass, der den Netzausbau als überdimensioniert bezeichnete. Grüne, SPD und CSU: Parteipolitik statt Energiewende Als Reaktion auf den Energiegipfel kam wie zu erwarten der Versuch der Trassenbefürworter, den Druck auf Hubert Aiwanger zu erhöhen. Die Verärgerung über die Infragestellung des Trassenbaus war nicht nur erkennbar, sie war vorrangiges Thema. Konstruktive Vorschläge für eine bayerische Energiewende traten damit in den Hintergrund, erkennbare Inputs kamen von Seiten der Kritiker nicht. Raimund Kamm bewies als Landesvertreter des Bundesverbandes Erneuerbare Energie BEE e.V. in erster Linie, dass er offensichtlich den Verbandszwängen der starken norddeutschen Windkraftinvestoren unterliegt. Nicht anders verhält es sich bei den Grünen. MdL Martin Stümpfig als – eigentlich – bayerischer Vertreter machte vor allem Politik für seinen nördlichen Kollegen und Offshore-Vorturner Robert Habeck, der seinen Windstrom unbedingt über Trassen nach Bayern bringen möchte. Deutlich zeigten sich diese Sachverhalte vor allem in einem Artikel der Süddeutschen Zeitung, mit dem sich Kritiker von Aiwangers Plänen in trauter Einigkeit zu öffentlich zu Wort meldeten. Als besonders interessant wurde in diesem Beitrag bezeichnet, dass es Allianzen zwischen einigen Vertretern der Wirtschaftsverbände und den Grünen gibt, was eigentlich als Beleg für deren Notwendigkeit gedacht war. Das überzeugt nicht. Bemerkenswert ist in erster Linie die Tatsache, dass bei diesem Energiegipfel erneut deutlich wurde, dass es den Wirtschaftsverbänden keinesfalls um die Energiewende geht, sondern um Stromhandel, und dass Grüne und BEE dennoch gleiche Ziele verfolgen. Was zu einem vollständigen Bild deshalb unbedingt dazugehört, ist der Umstand, dass sich die Grünen mit Ihrer Haltung erneut von der Position des BUND Naturschutz und weiteren Fürsprechern einer deutlich dezentraleren Energiewende wie zum Beispiel der N-ERGIE distanzieren. Einer demokratischeren Bürger-Energiewende mit regionaler Wertschöpfung für Bayern erweisen sie damit einen Bärendienst. Dieses Verhalten wirft eine vernünftige Diskussion, wie Aiwanger sie offensichtlich ernsthaft anstrebt, zurück. Es ist leider erkennbar, dass bei den Gegnern parteipolitische Erwägungen im Vordergrund stehen. Kann ja nicht sein, dass es am Ende nicht die Grünen sind, die möglicherweise den entscheidenden Startschuss für weitere notwendige Schritte bei der Energiewende in Bayern geben, sondern die Freien Wähler. Wie es weitergeht Die gute Nachricht: Der Energiegipfel war nur der Anfang. Der Dialog wird mit vier Arbeitsgruppen fortgeführt. Die schlechte Nachricht: Es gibt auch in Expertengruppen viel Halbwissen, aber das wird umso selbstbewusster vertreten. HGÜ-Trassen werden von den Wirtschaftsverbänden und einigen Parteien als unerlässlich für die Versorgungssicherheit betrachtet. Wenn man bedenkt, dass die Technik für diese Pilotprojekte noch nicht einmal feststeht, dass es im Schadensfall an erdverkabelten Leitungen wochenlange Komplett-Ausfälle gibt, und dass rechtliche Fragen ungeklärt sind, dann muss man sagen: Die Trassenbefürworter spielen auf Risiko, denn Versorgungssicherheit für Bayern kann so nicht erzielt werden. Oder geht es eben doch vorrangig um die Renditen beim Trassenbau? Der Vortrag zum aktuellen Stand der Energiewende der Vize-Direktorin der Prognos AG, Dr. Almut Kirchner, ist auf der Website von „Energie Innovativ“ eingestellt. Professor Michael Sterner hat seine „8 Thesen“ zum Energiegipfel selbst zugänglich gemacht, siehe hier. Die Impuls-Vorträge anderer Teilnehmer zum Energiegipfel sind leider bislang nicht veröffentlicht worden.
Dörte Hamann/23.12.2018
Danke an für die Bereitstellung des Artikels.
Das Orginal ist unter https://www.stromautobahn.de/dezentrale-energiewende-versus-trassen-und-zentralismus/ zu lesen.